„Schwierigkeiten des Erinnerns….“
Stanislaw Sagan, in einem Brief am 4. September 1996 von Toronto/Kanada nach Bisingen:
„Es war in der Tat eine große Überraschung, als ich hörte, dass Ihre Gemeinde nach 52 Jahren beschloss, derjenigen zu gedenken, die in Ihrer Mitte gelitten haben und derjenigen, die von den Nazis getötet wurden. Zuerst widerstrebte es mir, irgend etwas mit einem solch verspäteten Ausbruch an Bewusstsein zu tun zu haben, aber dann dachte ich nach. Nach allem, jetzt Ihre eigenen Leute an die Grausamkeiten der Nazis zu erinnern, wenn vielleicht die meisten unter Ihnen diese ziemlich ‚unangenehme‘ Episode in ihrem Leben lieber vergessen würden, kostet einigen Mut von Ihrer Seite.“
So beschreibt ein ehemaliger Bisinger KZ-Häftling seine erste Reaktion auf das Ausstellungsprojekt im Heimatmuseum Bisingen – anfängliche Skepsis und Abwehr, die dann doch in die Bereitschaft umschlägt, sich den eigenen Erinnerungen zu stellen und diese mitzuteilen.
Die Ausstellung im Heimatmuseum stellt die historischen Hintergründe des Unternehmens „Wüste“ dar. Sie versucht mit Fotos, Gegenständen, Zitaten und Hörbeispielen nachvollziehbar zu machen, was es hieß, als im Sommer 1944 in Bisingen ein KZ errichtet wurde – für die deportierten Männer und für die Dorfbevölkerung.
Das Lager war nicht hermetisch abgeriegelt vom Dorf; es lag nur 150 Meter vom Ortsrand entfernt. Die Bevölkerung sah die Häftlinge auf ihrem Weg zur Arbeit ins Engstlatter Ölschieferwerk, beim Bau der Wasserleitung, beim Trümmerräumen. Sie
konnte auch beobachten, wie die SS manchen Häftling, der ein Stück Brot oder Obst vom Weg aufheben wollte, mit dem Gewehrkolben zusammenschlug. Ein Zeitzeuge berichtete in einem Interview über das schlimmste Ereignis, das er damals als 13jähriger Junge gesehen hatte: Zwei SS-Männer legten einem Häftling ein Kantholz über den Hals und standen so lange darauf, bis er qualvoll erstickte.
Eine Bisinger Zeitzeugin berichtete: „Bei uns kamen sie direkt am Haus vorbei, jeden Morgen. (…) Erbarmungswürdig, die haben sich so richtig fortgeschleppt. Besonders abends, da konnten sie kaum noch laufen. Und dann kamen die Wachmannschaften hinterher und haben geschimpft und haben auf sie eingedroschen mit dem Gewehrkolben.“
Eine andere Begegnung: „Ich war einmal draußen im Lager. Da hat mir der Ehrmanntraut gesagt, ob ich nicht etwas zum Nähen hätte. Sie hätten einen guten Schneider im Lager. Und dann habe ich gesagt: ja, ich hätte schon etwas. Und dann kam er mit dem Schneider, mit diesem KZ-Häftling (…). Der hat mir Maß genommen. (…) Und dann musste ich ja das Ding anprobieren. Und dann habe ich gesagt: Also, ich komme raus ins Lager. Und dann haben sie mir gesagt, wo ich rein muss, und dann durfte ich also rein. Das war natürlich eine Stube, wo die geschafft haben. Die war sauber und warm. Und dann habe ich das anprobiert. Das war ein Schwede. Der war ganz zitterig, wie er das gemacht hat. Und kurze Zeit darauf war er auch tot.“
Aus: „Möglichkeiten des Erinnerns“, Bisingen, 1997 von Christine Glauning