
Dieter Grupp, 2. Vorsitzender des Vereins Gedenkstätten KZ Bisingen, konnte am Freitagabend, 08. März 2013, im Heimatmuseum Bisingen den Referenten, Frank Reuter, und 22 Zuhörer zu einem Vortrag über den „NS-Völkermord an den deutschen Sinti und Roma durch das NS-Regime begrüßen. Gebannt folgten die Zuhörer den Ausführungen von Frank Reuter.
Der seit 20 Jahren im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg tätige Referent führte in seinem lebendigen und bilderreichen Vortrag zunächst in die Geschichte der deutschen Sinti und Roma ein. Wie auch die jüdischen Deutschen waren diese in der Weimarer Republik voll in der deutschen Gesellschaft integriert. „Die Vorstellung des fremdländischen, vagabundierenden und bettelnden Zigeuners ist ein Stereotyp, der nicht den Tatsachen entsprach“, so Reuter. Die damals 30.000 Sinti und Roma im Großdeutschen Reich sahen ihre nationale Identität in Deutschland und bildeten einen Durchschnitt der Gesellschaft. So gab es unter ihnen viele Akademiker sowie Offiziere, sie waren regional verhaftet, sprachen den jeweiligen regionalen Dialekt und gehörten zu 90% der katholischen Kirche an. Umso schwerer war es für die Nazis mit den Nürnberger Rassegesetzen 1935 den „Typus des Zigeuners“ nachzuweisen.
Während man bei den Juden den Nichtariernachweis aus den Familienunterlagen herauslesen konnte, führte die Rassenhygienische Forschungsstelle unter der Leitung von Robert Ritter bei den Sinti und Roma aufwändige und menschenverachtende Körperbegutachtungen durch. „Die genetische Urformel wurde dabei natürlich nicht gefunden“, so Reuter.

Doch die relative überschaubare Anzahl von 30.000 Menschen wurde schließlich durch systematische Befragungen unter Folter ermittelt. Die an das Reichssicherheitshauptamt übermittelten Ergebnisse waren ab April 1940 die Grundlage für die systematische Deportation aus dem ganzen Reich. In Süddeutschland befand sich das Sammellager auf dem Hohenasperg bei Ludwigsburg, von wo aus die Transporte zunächst in die großen polnischen Ghettos Warschau, Radom und Kielce gingen. Waren die Deportierten nicht schon dort an Hunger oder Kälte verstorben, wurden 90% der ab 1943 nach Auschwitz-Birkenau verbrachten 22.000 Personen des „Zigeunerlagers“ ermordet, die Hälfte davon waren Kinder. Insgesamt fielen mehrere Hunderttausend Sinti und Roma dem Völkermord zum Opfer.

Mit einer Reihe von Auschwitz-Überlebenden führte Reuter Zeitzeugen-Interviews. Freundschaften entstanden, die für ihn in Anbetracht der „Schwere seiner historischen Arbeit“ wahre Lichtblicke sind. Sichtlich bewegt erzählte er die Lebensgeschichte seines Freundes und niederländischen Sinto Zoni (Johan) Weisz, der als Siebenjähriger durch die Hilfe eines Polizisten der Deportation nach Auschwitz entging. Als einziger Holocaust-Überlebender seiner Familie fand er nur schwer ins Leben zurück. Nach einer Ausbildung zum Floristen, einem Studium zur Ausstellungsarchitektur und Kunstgeschichte erwarb er 1958 einen Floristikbetrieb und avancierte zu einem der bekanntesten und meistbeschäftigten Floristen der Niederlande. Er gestaltete zahlreiche staatliche Großveranstaltungen und Feierlichkeiten der Königsfamilie. Im Jahr 1999 arrangierte Zoni Weisz das Blumenkunstwerk, das das niederländische Parlament der Bundesrepublik Deutschland zum 50-jährigen Bestehen des Bundestags schenkte. Am 27. Juni 2011, dem Internationalen Holocaust-Gedenktag, hielt Weisz als erster Vertreter der Sinti und Roma im Deutschen Bundestag eine bewegende Rede. Dass Reuter Zoni Weisz an diesem Tag begleiten durfte, beschrieb er als das „größte Highlight seiner Arbeit“.
Uta Hentsch bedankte sich im Namen der Anwesenden bei Herrn Reuter für seine zum Teil tief bewegenden Informationen zu den doch eher unbekannten Verbrechen an den 
deutschen Sinti und Roma unter dem NS-Regime und eröffnete eine Fragerunde – die nach einer dreiviertel Stunde sehr regem Austauschs dann ein offizielles Ende fand (die Gespräche fanden dann doch recht lange noch kein Ende).
Ein Dank ging auch wieder an die Landeszentrale für politische Bildung, Stuttgart, Abteilung „Gedenkstättenarbeit“, für die finanzielle Unterstützung dieses Abends.
Als Vorschau wurde die Wanderausstellung aus Yad Vashem „BESA“ – Eine Sache der Ehre – angekündigt, die am 05. Juli 2013 im Foyer der Hohenzollernhalle von Bürgermeister Krüger eröffnet wird. Die Ausstellung beinhaltet die Geschichte der Rettung unzähliger jüdischer Familien durch muslimische Bürger in Albanien unter dem NS-Regime.
Text: Franziska Blum / Fotos: U. Hentsch
