Bisingen – Zwei Täterprofile

Franz Ehrmanntraut, geboren 1910, Schlosser. NSDAP-Mitglied seit 1933, SS-Mitglied seit 1939. SS-Rottenführer seit 9. November 1941, SS-Unterscharführer seit 1. Februar 1943. Ehrmanntraut kam aus dem KZ Natzweiler zwischen August und Oktober 1944 nach Bisingen und wurde dort zum stellvertretenden Lagerleiter und Rapportführer befördert.

Bild: Franz Ehrmanntraut, vor 1945, Bundesarchiv Berlin, vormals Document Center.

Am 4. Juli 1947 sagte er im von den Franzosen durchgeführten Rastatter Prozess zu der Erschießung von drei ungarischen Häftlingen im Dezember 1944 folgendes aus:
„Ja, ich gebe zu, einen von ihnen erschossen zu haben. Ich habe es bei meinem Verhör gesagt. Ich habe gesagt, dass ich geschlagen habe. Viele Gefangene waren anständige Leute. Es war unmöglich, die anderen zu bewachen. Sie erschöpften unsere Geduld.“
Ehrmanntraut wurde am 29. Mai 1947 vom französischen Militärgericht in Rastatt wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt, später begnadigt und Ende 1962 aus der Haft entlassen. Er starb 1973.

Johannes Pauli, Schweizer Staatsangehöriger, geboren 1900, war der direkte Lagerführer im KZ Bisingen. 1951 sagte er vor dem Strafgericht in Basel über die Erschießung der drei ungarischen Häftlinge aus:
„Es ist richtig, dass ich im Dezember 1944 einen Häftling eigenhändig erschossen habe. (…) Ich ließ dann auch diese beiden Leute (die zwei anderen ungarischen Häftlinge, Anm. d. Verf.) kommen und fragte sie, was sie getan hätten. Auch diese beiden gaben mir auf meinen Vorhalt zu, dass sie Lebensmittel aus dem verschütteten Haus gestohlen hatten. Ich sagte daraufhin, was dem einen recht, dem andern billig sei und gab Ehrmanntraut und Makart den Befehl, auch diese beiden zu erschießen, was diese taten. Ich habe aber nicht befohlen, diese von hinten zu erschießen.“
Johannes Pauli wurde am 11. Februar 1953 in der Schweiz wegen seiner Taten im KZ Bisingen (fortgesetzten und wiederholten Totschlags) zu 12 Jahren Haft verurteilt. Er starb in den 60er Jahren.

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Aus: „Möglichkeiten des Erinnerns“, Bisingen, 1997 von Christine Glauning

Bisingen – Zeitzeugenberichte – Zwei ehemalige Häftlinge

Über die SS

Isaac Arbeid, 1996 in Bisingen – Foto: Gemeinde Bisingen

Isaac Arbeid, holländischer Jude, wurde 1941 als 18jähriger in Holland verhaftet und in ein holländisches Zwangsarbeiterlager eingewiesen. Danach musste er drei Jahre im KZ Blechhammer in Oberschlesien für die Oberschlesischen Hydrierwerke arbeiten. Nach der Evakuierung Blechhammers im Januar 1945 wurden die Häftlinge zu Fuß nach Groß-Rosen getrieben; nach wenigen Tagen kamen sie nach Buchenwald und von dort im März 1945 nach Bisingen. Isaac Arbeid starb 2002 in Amsterdam. Er besuchte Bisingen zur Eröffnung der Ausstellung im Heimatmuseum am 3. November 1996
In einem Interview berichtete er am 4. November 1996:
„Hier in Bisingen war es furchtbar, unvorstellbar. Erstens war die Behandlung sehr, sehr schlecht, das habe ich nicht so schlimm erfahren in anderen Lagern. Und wie ich mich erinnere, da war ein Wachtmeister, ein SS-Mann, das war ein Unterlagerführer in Blechhammer, der war menschlich damals. Aber hier war er auf der Baustelle, hier im ‚Kuhloch‘ war er auch evakuiert und lief dort mit einem Hund, einem Schäferhund und hat sich betragen wie – noch schlimmer wie ein Hund. Ein Hund kann nicht so sein. (…)
Der Zustand hier in Bisingen war schrecklich, man hat geschlagen und geschlagen. Essen war wenig, und wir mussten auch schwer arbeiten im ‚Kuhloch‘. Ich habe auch ein paar Tage hier im Dorf gearbeitet, nebenan in der Kirche, oben auf dem Dach.
Ich weiß auch, dass jemand geflüchtet ist, und – nicht weit von der Schweizer Grenze gefasst wurde, nachdem er denunziert wurde von Deutschen, und wurde zurückgebracht und hier gehängt. (…)
Es waren viele SS-Leute betrunken. Die sind ins Dorf hineingegangen, und wenn sie nach Hause kamen, ins Lager kamen, wenn sie besoffen waren, wie Besoffene haben sie sich betragen und geschlagen.“

Erschießungen
Henri Müller, ehemaliger Häftling im KZ Bisingen, sagte am 9. Februar 1961 über die Erschießung von drei ungarischen Häftlingen (Sinti und Roma) aus:
„Anfang November 1944 (es war am 9.12.1944, Anm. d. Verf.) hat ein Angriff der alliierten Luftwaffe auf Bisingen stattgefunden. Einige Bomben sind sehr nahe beim Lager gefallen. In Bisingen selbst sind die Schäden ziemlich beträchtlich gewesen. Damals wurden einige Leute vom Lager kommandiert, um das Dorf aufzuräumen. Es handelte sich hauptsächlich um Ungarn. Die Zivilbevölkerung von Bisingen hat anlässlich der Aufräumungsarbeiten einigen dieser Ungarn Lebensmittel zugesteckt, namentlich Früchte wie Äpfel. Einige Häftlinge haben sie an Ort und Stelle gegessen, während andere einige Äpfel in ihren Taschen ins Lager brachten. Unglücklicherweise sind sie durchsucht und die Äpfel von den Wachleuten gefunden worden. Am anderen Morgen, beim Appell, ist einer der Ungarn, die im Besitz von Äpfeln angetroffen worden waren, zum Eingangsposten gerufen worden, wo er verhört wurde. Er ist in Reih und Glied zurückgekommen; 2 Minuten später wurde er wieder zum Posten gerufen, wo ein (…) SS-Unteroffizier ihn auf der Stelle durch eine Revolverkugel in den Nacken hingerichtet hat. Von dem Punkte aus, wo ich stand, habe ich gesehen, wie sich die Dinge abgespielt haben. Am Ende des Morgenappells hat eine zweite Hinrichtung eines Ungarn stattgefunden, die ich nicht gesehen habe. Ich weiß jedoch, dass es Pauli war, der sie ausgeführt hat. Einige Minuten später hat eine dritte Hinrichtung stattgefunden, bei der ich nicht zugegen war, da ich in der Baracke war. Ich weiß, dass diese Hinrichtung dem SS-Unteroffizier Ehrmanntraut zuzuschreiben ist.“

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Aus: „Mögichkeiten des Erinnerns“ , Bisingen, 1997 von Christine Glauning

Bisingen – Zeitzeugenberichte – Ein ehemaliger Häftling

Hilfe von der Bevölkerung
Alfred Korn, polnischer Jude aus Krakau, kam 1942 ins Krakauer Ghetto und anschließend ins Arbeitslager Plaszow. Dort wurde er von seiner Frau und seinen beiden Kindern getrennt, die er nie wieder sah. Von 1943 bis Januar 1945 war er in Auschwitz. Über die KZ-Lager Groß-Rosen und Buchenwald wurde er im März 1945 nach Bisingen transportiert. In einem Radiointerview des SDR von 1976 berichtete Alfred Korn u. a. über Lebensmittel, die er von der Bevölkerung erhielt:
„Da war ich eines Tages, als ich oben war und unten waren die Mithäftlinge, die waren in der Grube, haben da nach dem Schiefer geguckt, da waren auf dem Nachbarfeld ein paar Bauern, Frauen haben da Kartoffeln gehabt. Jedenfalls hat mir eine Frau gezeigt, auf dem Boden mit dem Finger, da – hier liegt was. So habe ich das verstanden. Und das war eine Entfernung vielleicht von 5 bis 10 Metern höchstens. Ich habe aufgepasst, wenn der SS-Mann, der uns bewacht hat, der ist so rumgegangen, und er stand etwas weiter weg, habe ich mich hingeschlichen, habe das gefunden, und da waren drin fünf oder sechs Kartoffeln, in so’ner Tüte. Die habe ich genommen und habe sie mir in die Tasche gesteckt. Rechts und links.“

Die Sinnlosigkeit des Unternehmens „Wüste“
Alfred Korn: “ (…) und da hab ich auf einmal gesehen, während der Arbeit, dass vom Schieferwerk ein Rohr gelaufen war, das war aber sehr primitiv, auf Brettern ist das gelegen, und das ging vom Bahnhof, und auf dem Bahnhof stand eine Zisterne, und das Rohr ist in die Zisterne rein. Da habe ich beobachtet, da habe ich gedacht, oh, eine Zisterne, da müsste ja Öl fließen und da habe ich beobachtet, dass – ich will mich nicht festlegen – aber wahrscheinlich alle 5, kann auch 4 oder 6 Minuten gewesen sein, ist aus dem Rohr ein Tropfen in die Zisterne herein geflossen, wenn man das sagen darf. (…) Jedenfalls haben Hunderte von Häftlingen gearbeitet, damit alle Minuten ein Tropfen tickt und dann 5 Minuten nichts und dann wieder – tick. Der Tropfen ist rein in die Zisterne, und das war die große Leistung des Schieferwerks in Bisingen.“

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Aus: „Möglichkeiten des Erinnerns„, 1997, Bisingen, von Christine Glauning

Bisingen – Zeitzeugenberichte – Ein ehemaliger Häftling

Knapp dem Tod entgangen
Otto Gunsberger, ungarischer Jude, wurde im April 1944 mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert. Acht Monate später kam er nach Buchenwald und von dort Anfang März 1945 nach Bisingen. In seiner Autobiographie „Choice of Profession“ beschreibt Gunsberger seine Erinnerungen an das KZ Bisingen.

Otto Gunsberger, 1998 in Bisingen – Gemeinde Bisingen

Krank und am Ende seiner Kräfte kam er im Lager an. Als er am nächsten Morgen zur Arbeit ins Ölschieferwerk musste, war er so geschwächt, dass er nicht einmal das leichteste Werkzeug anheben konnte. Er kroch auf einen Hügel und legte sich dort in die Sonne. Als Neuankömmling wurde er nicht sofort vermisst. Schließlich entdeckte ihn doch jemand.

„Hinter mir hörte ich ein Geräusch, als ob sich jemand oben auf dem Hügel zwischen den Bäumen bewegte. Ich veränderte meine Stellung nicht, drehte nur den Kopf und sah einen jungen, kräftig gebauten großen Wachmann, der aus dem Wald kam. Er hatte einen großen deutschen Schäferhund an der Leine. Er brauchte nur noch ein paar Sekunden, um den in der Sonne bratenden schwänzenden Gefangenen im Gras zu finden. Das war’s. Kein Ausweg aus dieser Lage. Es war nur eine Frage von Minuten, bis mich der Wachmann töten würde. Ich könnte höchstens versuchen, die Art, wie er mich töten würde, zu beeinflussen. Der Hund war darauf dressiert, Gefangene anzugreifen. Wenn ich aufstand und versuchte wegzugehen – rennen konnte ich nicht -würde der Hund von der Leine gelassen und mich in wenigen Minuten in Stücke reißen. (…)

Es wäre eine saubere Sache, wenn der SS-Mann die Peitsche aus dem Gürtel genommen und mich geschlagen hätte. In meinem Zustand wäre ich nach zwei oder drei Hieben bewusstlos geworden, und ein paar Tritte gegen Kopf und Körper hätten mein Leben mit weniger Schmerzen beendet. Ich zog diesen Tod vor. Deshalb bewegte ich mich nicht. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass der Wachmann verblüfft war. Sonst versuchte der Gefangene immer davonzulaufen, und es machte dem geübten Mörder Spaß, die Jagd und den Kampf eines trainierten Hundes gegen einen schwachen kranken Menschen zu sehen. Er wartete eine Weile darauf, ob ich einen verspäteten Fluchtversuch unternehmen würde, aber ich war entschlossen, mich nicht zu bewegen. Während er noch dastand, ließ er den Hund von der Leine. Der Hund rannte in Kreisen um mich herum und versuchte mich aufzuscheuchen. Er war aufgeregt, darauf dressiert, fliehende Opfer anzugreifen. Es war eine ungewöhnliche Situation für das Tier, mich in dieser Stellung zu finden. Ich versuchte ihn zu beruhigen und sprach mit sanften Worten wie ‚braver Hund, guter Hund, ganz ruhig, Platz‘ usw. auf ihn ein. Er öffnete sein Maul, streckte seine große Zunge heraus, und – Wunder über Wunder, anstatt mich zu beißen, begann er mein Gesicht abzuschlecken. Während er weiter schleckte, legte er sich neben mich ins Gras. Das ermutigte mich, und während ich weiter besänftigende Worte sprach, begann ich ihn zu streicheln.

Das gefiel ihm, und er schleckte auch meine Hände. Inzwischen sah sein Herr, immer noch an der gleichen Stelle, die Entwaffnung seines wilden Gefährten. Er wartete noch ein paar Minuten, bis er herunterkam. Er stand bei meinem Kopf, beugte sich herunter und schnappte das Halsband des Hundes. Er zog den Hund weg und befahl mir, aufzustehen. Er sah mich lange prüfend an und befahl mir, zu meinem Kommando zurückzugehen. Ich drehte mich herum und ging mit wackligen Beinen zum Geräteschuppen hinunter. Ich traute mich nicht, zurückzuschauen und drehte nur ganz wenig den Kopf, um zurückzuschielen, als ich das tiefe schmerzliche Jaulen des Hundes hinter mir hörte. Das Tier, das dem Mitleid seines Besitzers überlassen war, wurde gnadenlos ausgepeitscht. Der Anblick ekelte mich an, und ich ging weiter, bis ich das leidende jaulen des Hundes nicht mehr hörte. Es war mein Glück und das Pech des Tieres, dass der SS-Mann an dieser Stelle in erster Linie Hundedresseur und kein gnadenloser Mörder war. Es war ihm wichtiger, sofort einen schlechten Charakterzug des Tieres zu korrigieren, als sich um einen unwichtigen Juden zu kümmern, dessen Tage auf jeden Fall gezählt waren.“

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Aus: „Möglichkeiten des Erinnerns“Bisingen, 1997 von Christine Glauning

Bisingen – Zeitzeugenberichte – Das Aussehen des Lagers

Das Aussehen des Lagers
Hermann Noell, einer der wenigen deutschen Häftlinge in Bisingen, beschreibt in einem Bericht für die französische Militärregierung in Hechingen 1945/46, wie das KZ Bisingen aussah:
„Das Lager bestand aus einer großen feuchten Wiese; ein gefährlicher Stacheldrahtzaun, der noch mit anderen spitzen Hindernissen gesichert war, umgab den Platz. Hier und da wurde er durch Wachtürme durchbrochen. Auf dem Wachturm und in den Wachhütten standen SS-Leute bewaffnet Posten. Die Häftlinge (…) mussten zunächst in schlechten Zelten auf der feuchten Wiese zubringen; später wurden sie in Baracken oder richtiger in mangelhaften Pferdeställen untergebracht. Für die Insassen waren acht Baracken vorgesehen. (…) In sechs Baracken gab es gemeinsame Schlafstätten; an den Wänden waren Brettergestelle errichtet; auf diesen lagen drei Bretter übereinander; auf jedem Brett mussten drei Häftlinge schlafen, obwohl der Platz nur für einen ausreichte. Anfangs erhielt der Häftling nicht eine Decke, später bekamen drei Mann eine Decke zugeteilt. Um diese Decke entstand oft in der Nacht ein bedauerlicher Kampf und zerstörte manchmal die Kameradschaft: Eine echte Kameradschaft sollte auch nicht aufkommen, sie war von der Lagerleitung nicht gewollt.“

Arbeit im Ölschieferwerk
Hermann Noell „Jeder Häftling, der noch auf den Beinen stehen konnte, musste arbeiten, ob er wollte oder nicht. Der größte Teil der Lagerinsassen hatte die Aufgabe, in einigen Gebieten, die sich in der Nähe des Lagers befanden, Schiefer zu brechen und aus dem Schieferbruch Öl zu gewinnen. Die Arbeit war schwer, sehr schwer und wurde von SS-Leuten und OT-Leuten überwacht. (…) Die Ausgabe der Kräfte stand in keinem Verhältnis zu der Ernährung, folglich musste jeder bald versagen oder in einen Schwächezustand verfallen. Die Absicht der SS-Mannschaft war, möglichst viel Arbeitsleistung, alle Kräfte aus ihren Opfern herauszuholen und sie dann ihrem aufgezwungenen Elend zu überlassen. Wenn einer bei der Arbeit vor Schwäche, Hunger und Elend zusammenbrach, so ließ man ihn nicht etwa liegen, nein, man prügelte auf ihn ein, bis er dem Tode nahe war. (…) Die Urheber waren meistens SS-Leute, zuweilen auch OT-Leute.“ (OT= Organisation Todt)

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Aus: „Möglichkeiten des Erinnerns“ – Bisingen, 1997, von Christine Glauning

Bisingen – Zeitzeugenberichte – Ein ehemaliger Häftling

Von Auschwitz nach Bisingen
Stanislaw Sagan, geboren 1926 in Warschau, wurde 1944 nach dem Scheitern des Warschauer Aufstandes verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Von dort kam er mit dem ersten Häftlingstransport am 24. August 1944 nach Bisingen. Sagan lebt heute in Toronto/Kanada. In seiner Autobiographie „Food Carriers Out!“ beschreibt er seine Ankunft in Bisingen:
„Am vierten Tag unserer Reise hält der Zug plötzlich. Es ist der 24. August. Die Wachmänner springen hinaus und schreien: ‚Raus, raus, schnell alles raus!!!‘ (…) Nachdem ich so schnell wie ich konnte, hinaus gesprungen war, sah ich, dass der Zug inmitten eines Feldes gehalten hatte; keine Gebäude, kein Bahnhof und kein Lager waren in Sicht. Ich stellte auch fest, dass der ganze Zug, der aus mindestens 20 Güterwaggons bestand, von Männer in deutschen Uniformen umringt war; jeder trug ein Gewehr, das wie ein Relikt aus dem Ersten Weltkrieg aussah. (…)
Aber sie sind noch die Herren, zumindest über uns. Sie schreien, obwohl mit ziemlich piepsenden Stimmen, und versuchen uns in Reihen zu ‚je fünf‘ zu bringen. Das unvermeidliche Zählen beginnt. Die Rechenkenntnisse dieser altgedienten Veteranen sind noch begrenzter als die der SS in Auschwitz. Es dauert ungefähr eine Stunde, bis sie fähig sind, auf Tausend zu zählen.

Ausweis Stanislaw Sagan, 1947, Privatbesitz.

Während das alles vor sich geht, habe ich die Möglichkeit, mich umzusehen. Der Tag ist sonnig, und der Duft der Felder ist berauschend. Kein Rauch und keine Asche mehr wie in Auschwitz. Ich bin in viel besserer Stimmung. (…) Als wir alle gezählt waren, setzten wir uns in Bewegung. Wir mussten beinahe eine Stunde laufen, bis wir unseren Bestimmungsort erreichten. Vor uns sehe ich Zelte und zwei Holzbaracken. Ich werde noch erfahren, dass sich in einer die Lagerküche, in der anderen die Unterkunft der SS befindet. Weder Stacheldraht ist zu sehen, noch Wachtürme sind zu sehen, und wenn nicht der Hunger und die Müdigkeit wären, könnte es ein Touristenparadies sein. Das ist es nicht. Wir sind in Bisingen, einem Arbeitskommando des Konzentrationslagers Natzweiler. (…)
Ich kann lange nicht einschlafen. Es scheint, dass das Leben hier nicht menschlicher ist als in Auschwitz. Es war nur ein Funken Hoffnung, den ich hatte, als ich die alten Wachmänner sah und das frische Gras roch. Diese Hoffnung ist nun vergangen. Ich sehe, dass wir es hier mit denselben Deutschen zu tun haben wie in Auschwitz oder Warschau, und dass das Alter der Wachmänner oder die Umgebung nichts mit Menschlichkeit zu tun hat.“

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Aus:  „Möglichkeiten des Erinnerns“ – Bisingen, 1997 / von Christine Glauning (Broschüre vergriffen – nur noch im Internet)

BISINGEN – KZ- Friedhof Bisingen / Gedenksteine und Gedenktafel

Von Christine Glauning – aus “Möglichkeiten des Erinnerns” – Orte jüdischen Lebens und nationalsozialistischen Unrechts im Zollernalbkreis und im Kreis Rottweil (Hechingen 1997). Weitere Hinweise zum KZ-Friedhof: Christine Glaunig: “ Entgrenzung und KZ-System. Das Unternehmen „Wüste“ und das Konzentrationslager in Bisingen 1944/45. Berlin 2006, Seite 381 – 384

Am 29. April 1947 wurde der „Ehrenfriedhof“ für die Opfer des KZ Bisingen eingeweiht. Neben den Vertretern der französischen Militärregierung mussten an der Eröffnungsfeier auch Politiker des Landes Württemberg, des Landkreises Hechingen einschließlich der Bürgermeister sowie Vertreter der Bevölkerung Bisingen und der umliegenden Gemeinden teilnehmen. Da auf dem ehemaligen Lagergelände nichts mehr an das KZ Bisingen erinnerte, bildete dieser Friedhof wie an zahlreichen anderen Orten den ersten zentralen Gedenkort, wie sich dies an zahlreichen anderen vergleichbaren Orten ebenso verhält.

KZ-Friedhof Bisingen (eingeweiht im April 1947), um 1947, Privatbesitz

Im Zentrum der auf  einer Anhöhe liegenden Friedhofanlage wurde ein großes Kreuz aufgestellt, das nach den Vorstellungen der Franzosen weithin sichtbar sein sollte. Mittlerweile ist das nicht mehr der Fall, da das umliegende Gelände von hohen Bäumen umgeben ist, die den Friedhof abschirmen. Anfangs stand je ein Holzkreuz stellvertretend für die 1158 Opfer, die aus den Massengräbern umgebettet wurden.

Foto: Hentsch, 2008 – (alle folgenden Fotos: Hentsch – zum Vergrößern anklicken)

In den 1960er-Jahren wurden sie durch wenige paarweise gesetzte Steinkreuze ersetzt, die in ihrer Gestaltung an einen Soldatenfriedhof erinnerten und so die Identität der Opfer verschleierten. Kein Symbol erinnerte an die jüdischen Opfer. Am Sockel des großen Kreuzes befinden sich verschiedene Inschriften. Die Texte in Französisch /Repräsentation der Siegermacht) und Lateinisch (übergreifende Repräsentation aller Opfer) blieben zum einen unübersetzt, blendeten zum anderen  den geschichtlichen Hintergrund aus. Der Besucher erfuhr weder etwas über die Existenz eines Konzentrationslagers in Bisingen, noch über Schicksal und Herkunft der Opfer. Die französische Inschrift erinnert nur sehr allgemein an die „1158 victimes de la barbarie nazie qui reposent en ce lieu“ – 1158 Opfer der Nazi-Barbarei, die an diesem Ort ruhen.

Der lateinische biblische Text wirft – auch in der Übersetzung – mehr Fragen auf, als er Antworten gibt: „Dederunt se periculo ut starent sancta ipsorum et lex“ – 1. Buch Makkabäer, 14,29 – „Sie begaben sich in Gefahr/wagten ihr Leben, damit das Heiligtum und (Gottes) Gesetz nicht vertilget würde“

In den Mahnmaltexten nicht nur der ersten Nachkriegsjahre fand auch an vielen anderen Orten nationalsozialistischen Unrechts weder Information noch konkrete Erinnerung an die Opfer statt. So verschwand auch die Geschichte des KZ BIsingen aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit, eines Lagers, das während seiner Existenz für die Bevölkerung unübersehbar war. Auf dem ersten, auch heute noch zentralen Gedenkort, dem KZ-Friedhof, wurde die NS-Vergangenheit übergangen.

Gleiches gilt auch für die Stele, die der Tübinger Bildhauer Ugge Bärtle mit dem Relief einer Elendgestalt für den KZ-Friedhof Bisingen 1961-63 entwarf, und die am Rande des Friedhofgeländes aufgestellt wurde. Die Inschrift am Sockel lautet: „Hier ruhen 1158 Tote unbekannten Namens aus vielen Ländern Europas. Den Opfern ruchloser Gewalt.“
Stele und Text werden mittlerweile nicht mehr  wahrgenommen. Da der Eingang des Friedhofs später verlegt wurde, führt der Weg die Besucher hier nicht mehr vorbei. Nur wer von der Existenz der Stele weiß und gezielt sucht, kann sie finden.

1991 ließ der Zollernalbkreis im Eingangsbereich des Friedhofs einen Gedenkstein mit einer Bronzetafel errichten, mit der die Besucher über das Unternehmen Wüste und den historischen Hintergrund informiert werden.

Im Oktober 1998 wurde mit der Eröffnung des Geschichtslehrpfads auf dem KZ-Friedhof ein jüdischer Gedenkstein enthüllt, eine Spende der Gemeinde Bisingen und des Zollernalbkreises.

Die französische Besatzungsmacht betrieb nach Kriegsende das Bisinger Ölschieferwerk weiter, gab die Produktion aber 1946 wegen Unrentabilität auf und sprengte die Fabrik-anlagen. Auf dem ehemaligen Ölschieferabbaugelände befinden sich heute Sportanlagen umgeben von Jungwald, der in den 60er Jahren gepflanzt wurde. Die Baracken des KZ wurden abgerissen; das frühere Lagergelände ist – noch – zum größten Teil unbebaute Fläche.

Die damalige Entlausungsbaracke des KZ, die außerhalb des Lagers in der Schelmengasse stand und nach 1945 zum Wohnhaus umgebaut wurde, kann man heute noch sehen. Die historischen Orte verbindet ein Geschichtslehrpfad (siehe Teil III „Lernfelder“).

Bild 1: AOC, Justice,c.4093,p.81 – 19 Fi 69/2 Neg.Nr 34835

Bild 2: AOC, Justice,c.4093,p.81 – 19 Fi 69/2 Neg.Nr. 32833 (Kellergeschoß)
Bilder 1+2: Entlausungsbaracke in der Schelmengasse, Bisingen JUSTICE, Caisse 4092, paquet 81 – Camp Bisingen

Anmerkung zur Entlausungsbaracke U.He.: Sie war von allen „Gebäuden des Konzentrationslagers Bisingen aus Stein errichtet – hatte drei Schornsteine, von denen der mittlere erstaunlicher Weise höher war als die anderen beiden. Das „Kellergeschoß“ – Bild assoziert ganz „eigene“ Gedanken über einen möglichen, geplanten Verwendungszweck des Gebäudes.

Zusammenfassung Gedenksteine und Gedenktafeln

Seit 1947:
zwei Inschriften – in französischer und lateinischer Sprache – auf dem KZ-Friedhof (am Sockel des großen Kreuzes – siehe Text oben).

Seit 1962:
Stele auf dem KZ-Friedhof (von dem Bildhauer Ugge Bärtle gestaltet) – Bild siehe oben

Seit 1969:
Gedenkstein auf dem ehemaligen Ölschieferabbaugelände im Kuhloch, der beim Bau des Sportplatzes von deutschen und französischen Soldaten aufgestellt wurde.

Seit 1985:
Gedenktafel auf dem KZ-Friedhof (Initiative der Juso-AG Bisingen).

Seit 1991: Gedenkstein am Eingang zum KZ-Friedhof (aufgestellt vom Zollernalbkreis.

Seit 1996:
Schautafel am Eingang zum KZ-Friedhof mit Informationen über weitere Gedenkstätten im Zollernalbkreis und den Landkreisen Rottweil und Tuttlingen (aufgestellt auf Anregung der „Initiative Gedenkstätte Eckerwald“).

Seit 1998:
Jüdischer Gedenkstein, gestiftet von der Gemeinde Bisingen und dem Zollernalbkreis (siehe oben) und
eine Gedenktafel für Godfried de Groot, gestiftet von dem Bisinger Holocaust-Überlebenden Ies Arbeid, Holland.

Seit 2005:
Ein zweiter Gedenkstein für die jüdischen Opfer des KZ Bisingen (aufgestellt von Shalom Stamberg, Haifa-Israel, ehemaliger Häftling des KZ Bisingen.

Seit 2007: Gedenkstein für einen im KZ Bisingen umgekommenen polnischen Juden, Yankel  Gelibter (aufgestellt von Chaim Gil, Tel Aviv-Israel, Bruder des  Opfers). Inschrift: 1. Mose 4,10: Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.

english translation: bisingen-1-places-concentration-camp-cemetery

Fortsetzung: KAP 4: BISINGEN – 2 Zeitzeugenberichte Opfer

BISINGEN – Konzentrationslager und Ölschieferwerk

Von Christine Glauning – aus “Möglichkeiten des Erinnerns” – Orte jüdischen Lebens und nationalsozialistischen Unrechts im Zollernalbkreis und im Kreis Rottweil (Hechingen 1997). Die Broschüre ist vergriffen und wird nicht wieder aufgelegt sondern ins Internet gestellt.

Luftaufnahme des KZ Bisingen und des Ölschieferwerks, 17. Februar 1945, University of Keele/GB. Zwischen Bahnhof und Lagertor sind die Fußspuren der Häftlinge auf ihrem Weg in das KZ zu sehen

In wenigen Monaten – von August 1944 bis März 1945 – wurden insgesamt 4150 Männer nach Bisingen in das dortige Konzentrationslager deportiert, darunter 1550 Juden. Sie kamen mit mehreren Transporten aus fast allen europäischen Ländern, hatten z. B. zuvor in den Ölschieferwerken in Estland oder für die oberschlesischen Hydrierwerke Zwangsarbeit geleistet, waren nach dem Scheitern des Warschauer Aufstandes 1944 verhaftet worden oder knapp der Vernichtung der ungarischen Juden ab 1944 entgangen.
Bisingen war für die meisten Häftlinge nur eine Station auf einem langen Leidensweg, der sie über die großen Konzentrations- und Vernichtungslager Dachau, Auschwitz, Danzig-Stutthof und Buchenwald zur Schwäbischen Alb brachte.
Als die ersten Tausend Häftlinge am 24. August 1944 von Auschwitz nach Bisingen deportiert wurden, stand das Lager noch nicht. Nur Zelte dienten notdürftig als Unterkünfte. Unter der Leitung der Organisation Todt mussten die Häftlinge die Baracken, Wachtürme und den Stacheldrahtzaun des KZ errichten sowie das Ölschieferwerk im „Kuhloch“ aufbauen.

Ölschieferwerk „Wüste 2“ in Bisingen, um 1945/46, Kreisarchiv Balingen

Die Häftlinge arbeiteten nicht nur im „Wüste-Werk 2“ in Bisingen, sondern auch in den Ölschieferwerken im benachbarten Engstlatt („Wüste 3“) und bei „Wüste 1“ auf dem Höhnisch (zwischen Dußlingen, Nehren und Gomaringen). Ein Teil der Häftlinge legte eine Wasserleitung quer durch Bisingen ins Ölschieferabbaugelände, einige Männer wurden an die Keller’sche Schuhfabrik „ausgeliehen“, reparierten das bei einem Luftangriff beschädigte Kirchendach oder räumten Trümmer aus zerbombten Häusern.
Teile der Bevölkerung versuchten, den Häftlingen zu helfen, indem sie dort Lebensmittel deponierten, wo die Häftlinge jeden Tag vorbeikamen. Trotzdem forderten die schwere Arbeit im Ölschieferwerk und die unmenschlichen Bedingungen im Lager vor allem im nassen Herbst und Winter 1944/45 viele Opfer. Die Häftlinge, die bis zu den Knien im Schlamm versanken, starben an Krankheiten, Schwäche, Hunger und Misshandlungen. Etliche wurden von SS-Männern erschossen oder erhängt.

Die ersten 29 Toten wurden im Krematorium in Reutlingen verbrannt, später mussten zwei Bisinger Männer die Leichen mit Pferdekarren zu einem Massengrab fahren, wo sie notdürftig verscharrt wurden. Mindestens 1187 Opfer forderte das KZ in Bisingen, davon liegen 1158 auf dem heutigen KZ-Friedhof begraben. Die Verhältnisse im Lager waren so katastrophal, dass sogar ein höherer SS-Offizier in Berlin Meldung machte woraufhin der Chef des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes, Oswald Pohl, das Bisinger Lager besichtigte und den übergeordneten Lagerleiter Franz Hofmann seines Amtes enthob. Die Sorgen der SS galten allerdings mehr der sich verzögernden Ölproduktion als dem Leiden der Häftlinge. Bisingen war vor allen anderen Ölschieferwerken Priorität eingeräumt worden. Am 23. Februar 1945 wurde hier der erste „Meiler“ gezündet. Bei diesem höchst aufwendigen und letztlich unergiebigen Verfahren wurde der Ölschiefer zu länglichen Hügeln aufgeschichtet und angezündet. Durch die Hitze sollte das Öl aus dem Schiefer geschwelt werden. Nur wenig Treibstoff wurde noch in den letzten zwei Kriegsmonaten gewonnen.

Dave Fischel, KZ-Häftling in Bisingen, kam mit dem Buchenwald-Transport im März 1945 nach Bisingen. Die Aufnahme zeigt ihn nach der Befreiung durch die Amerikaner, Privatbesitz

Aufgrund eines Befehls des Reichsführers der SS, Heinrich Himmler, der die Evakuierung aller Lager vor Heranrücken der Alliierten anordnete, löste die SS im April 1945 das KZ Bisingen auf, schickte 769 Häftlinge in zwei Transporten nach Dachau-Allach und den Rest zu Fuß auf den „Todesmarsch“ in Richtung Oberschwaben und Bayern, den viele nicht überlebten. Die überlebenden Bisinger KZ-Häftlinge wurden in Dachau bzw. bei Ostrach (Kreis Ravensburg), Altshausen (Kreis Sigmaringen) oder Garmisch-Partenkirchen befreit.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ordnete die französische Besatzungsmacht an, dass die Toten des Bisinger Massengrabes exhumiert und einzeln in Särgen auf einem neu angelegten Friedhof beerdigt wurden. Insassen des Reutlinger und Balinger Kriegsverbrecherlagers mussten die Leichen ausgraben. Ehemalige NSDAP-Mitglieder (v. a. Lehrer, Pfarrer und frühere Bürgermeister) aus allen Landkreisen des französisch besetzten Gebietes in Württemberg-Hohenzollern wurden nach Bisingen gebracht, um sich mit eigenen Augen von der Existenz des KZ Bisingen und den vielen Opfern zu überzeugen.

Exhumierung des Massengrabes, 1946, Privatbesitz.

Pferdebesitzer aus Bisingen und Umgebung wurden dazu verpflichtet, die Särge vom Massengrab zum KZ-Friedhof zu transportieren.
„So haben wir in dieser Zeit 1100 Särge vom Ludenstall auf den KZ-Friedhof hochgefahren. Es war für mich nach über fünfjähriger Soldaten- und Kriegszeit das beschämendste Erlebnis in meinem Leben.“ (Schriftlicher Bericht eines Zeitzeugen)

BISINGEN I Places: Concentration camp and oil shale-works: bisingen-i-places-concentration-camp-and-oil-shale-works

Fortsetzung: KAP 3 BISINGEN – I Orte: KZ-Friedhof

BISINGEN – Heimatmuseum

Von Christine Glauning – aus “Möglichkeiten des Erinnerns” – Orte jüdischen Lebens und nationalsozialistischen Unrechts im Zollernalbkreis und im Kreis Rottweil (Hechingen 1997). Die Broschüre ist vergriffen und wird nicht wieder aufgelegt sondern ins Internet gestellt.

  • Heimatmuseum Bisingen: (seit 03. November 1996) Kirchgasse 15, 72406 Bisingen
  • Ausstellung „Mut zur Erinnerung – Mut zur Verantwortung“ über den Ölschieferabbau und das ehemalige Konzentrationslager
  • KZ-Friedhof und Geschichtslehrpfad

Heimatmuseum Bisingen: „Mut zur Erinnerung – Mut zur Verantwortung“ Blick in die Ausstellung
Die Ausstellung (ehemals „Schwierigkeiten des Erinnerns“) wurde aus Anlass des zehnjährigen Bestehens im Oktober 2006 vom Verein „Gedenkstätten KZ Bisingen“ (unter Beibehaltung des inhaltlichen Konzepts von Dr. Christine Glauning) umgestaltet. Foto: Hentsch

Öffnungszeiten: Sonntag 14 bis 17 Uhr sowie auf Anfrage

Führungen: Ines Mayer, Tel 07476-1053

KZ-Friedhof
Der  1947 von der französischen Militär-Regierung angelegte Friedhof liegt etwas außerhalb Bisingens.  Die Zufahrt ist ausgeschildert,  Parkmöglichkeiten sind vorhanden.

Geschichtslehrpfad
Der Pfad führt über das Gelände des ehemaligen Ölschieferwerks und zum Platz des ehemaligen Lagers.  Der ausgeschilderte Rundgang kann von jeder Station aus begonnen werden, ein guter Einstieg ist der Bahnhof Bisingen.

Informationen zur Ausstellung und zum Geschichtslehrpfad
Bürgermeisteramt Bisingen

Heidelbergstr. 9 // 72406 Bisingen

Dr. Franziska Blum                                                                                                                                                         Tel. 07476 896 414 – Di + Do 14 – 17 Uhr                                                                                                            E-Mail: Franziska.Blum@Bisingen.de

Verein Gedenkstätten KZ Bisingen

Uta Hentsch, Vorsitzende
Tel/Fax 07476 3898
E.Mail Uta.Hentsch@t-online.de

Anfahrt nach Bisingen
A81 Stuttgart-Singen, Ausfahrt Empfingen,Richtung Albstadt Balingen (B 463);
Bundesstraße B27 Tübingen Rottweil, Abfahrt Bisingen Ortsmitte;

Literatur:
Juso-AG Bisingen: „Das KZ Bisingen“
Bisingen, 10/1996 (3. Aufl.- 1. Aufl. 1985)

Christine Glauning: „Entgrenzung und KZ-System  – Das Unternehmen „Wüste“ und das Konzentrationslager Bisingen 1944/1945“ – Metropol Verlag, Berlin 2006

„Es war ein Bahnhof ohne Rampe – Ein Konzentrationslager am Fuße der Schwäbischen Alb“ // Reihe MATERALIEN, Hrsg. H. Grunert, Landeszentrale für politische Bildung, Stuttgart 2007

Zeittafel
24. August 1944:
Erster Transport mit 1000 polnischen Häftlingen von Auschwitz nach Bisingen

01. Oktober 1944:
Transport von 1500 Häftlingen (Russen, Letten, Litauer, Esten)  aus dem KZ Danzig-Stutthof

30. Oktober 1944:
Transport von 250 polnischen Juden aus dem KZ Vaihingen-Enz

26. November 1944:
Transport von 400 ungarischen Juden aus dem KZ Dachau

07. März 1945:
Transport von 1000 Häftlingen, davon 900 Juden aus dem KZ Buchenwald

April 1945:
Evakuierung des KZ Bisingen

12. April 1945:
Transport von 206 Häftlingen nach Dachau-Allach

14. April 1945:
Transport von 563 Häftlingen von Bisingen nach Dachau-Allach (in offenen Güterwaggons mit Stacheldraht. Der Rest der Häftlinge musste zu Fuß auf den „Todesmarsch“.
Kurz vor Kriegsende ließ der damalige Bisinger Bürgermeister, Hugo Maier  alle Unterlagen über das KZ Bisingen vernichten, darunter die Namenslisten der toten Häftlinge, die in der Standesamtsregistratur im Rathaus aufbewahrt worden waren.

English edition: bisingen-1-places-englisch

Fortsetzung: nächster Eintrag: KAP 2 – Bisingen I Orte – Konzentrationslager und Ölschieferwerk

Über das „Unternehmen Wüste“

Bisingen – Das Unternehmen „Wüste“:
Ölschieferwerke und Konzentrationslager in Württemberg und Hohenzollern 1943-1945
von Christine Glauning – aus „Möglichkeiten des Erinnerns“ – Orte jüdischen Lebens und nationalsozialistischen Unrechts im Zollernalbkreis und im Kreis Rottweil. Die Broschüre ist vergriffen und wird nicht wieder aufgelegt sondern ins Internet gestellt.

Im Jahr 1944 brauchte die deutsche Kriegswirtschaft Öl dringender als irgendeinen anderen Rohstoff. Die von der Wehrmacht eroberten sowjetischen Ölfelder waren nach der Niederlage bei Stalingrad 1943 verloren gegangen. Ab Mai 1944 begann die große alliierte Luftoffensive, welche die Ölproduktion in Deutschland entscheidend verminderte. Die Produktion von Flugzeugbenzin sank von 156 000 Tonnen im Mai auf 29 000 Tonnen im Juli 1944.
Unter dem Decknamen Unternehmen „Wüste“ wurde von höchster Reichsebene die Nutzung des Posidonienschiefers am Rand der Schwäbischen Alb angeordnet, um den gefährdeten Treibstoffnachschub zu sichern. Trotz der unbefriedigenden Ergebnisse der bis dahin durchgeführten Versuche zur Ölgewinnung aus Schiefer beschloss das Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion unter Albert Speer im Juli 1944, zehn Ölschieferwerke in Württemberg und Hohenzollern entlang der Bahnlinie Tübingen-Rottweil zu errichten. An dem groß angelegten Projekt waren unterschiedliche miteinander konkurrierende Organisationen, Ministerien, eigens gegründete Forschungsinstitute und Firmen beteiligt (z. B. die IG-Farben in Leuna, die Deutsche Ölschieferforschungsgesellschaft in Berlin und Schömberg, die Kohle-Öl-Union in Schörzingen, die LIAS-Forschungsgesellschaft in Frommern, die Deutsche Schieferöl GmbH in Erzingen – ein SS-eigener Betrieb -, die Organisation Todt, die SS, die Deutsche Bergwerks- und Hüttenbaugesellschaft – eine Tochtergesellschaft des Hermann-Göring-Konzerns).
Für das Unternehmen „Wüste“ stellte die SS in sieben Konzentrationslagern insgesamt über 11. 000 Häftlinge zur Verfügung, die als billige Arbeitskräfte in den Ölschieferwerken ausgebeutet wurden. Die Lager befanden sich in Bisingen, Dautmergen, Dormettingen, Erzingen, Frommem, Schömberg und Schörzingen. Pro Häftling und Arbeitstag kassierte die SS zwischen 4 und 6 Reichsmark.

Bild links (Vergrößerung durch Anklicken): Die 10 geplanten Ölschieferwerke und die sieben Konzentrationslager des Unternehmens „Wüste“. Die Karte stammt aus dem Staatsarchiv Sigmaringen und wurde um die sieben Lager ergänzt (Bestand Wü 2, Nr. 1645) – hier in einer verbesserten Ansicht von Immo Opfermann Balingen.

Die hochgesteckten Erwartungen des NS-Regimes erfüllten sich jedoch nicht. Das Unternehmen „Wüste“ brachte nicht die erhoffte Kriegswende. Nur in vier von zehn Ölschieferwerken konnte bis Kriegsende die Produktion notdürftig anlaufen.
Das Ölschieferprojekt war ein wahnwitziges und sinnloses Unterfangen, das in kurzer Zeit über 3480 Menschenleben kostete: So viele Tote wurden nach Kriegsende aus den Massengräbern exhumiert und auf die drei KZ-Friedhöfe Bisingen, Schömberg und Schörzingen umgebettet. Die Zahl der Opfer muss jedoch wesentlich höher angesetzt werden. Die ersten Todesopfer ließ die SS in den Krematorien in Reutlingen, Schwenningen und Tuttlingen verbrennen. Viele kranke und schwache Häftlinge wurden in sog. „Krankenlager“ wie Bergen-Belsen und Vaihingen/Enz abtransportiert, wo sie zum Sterben verurteilt waren. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl von Toten, die nach der Auflösung der Konzentrationslager auf den „Todesmärschen“ vor Erschöpfung starben oder von der SS erschossen wurden.
Christine Glauning

Literatur hier: literatur-zum-unternehmen-wuste-neu

Eine Version in Englisch hier: das-unternehmen-wueste-englisch

Übertragen in diesen blog von U.Hentsch, Vorsitzende des Vereins „Gedenkstätten KZ Bisingen“