Bisingen – Zeitzeugenberichte – Zwei ehemalige Häftlinge

Über die SS

Isaac Arbeid, 1996 in Bisingen – Foto: Gemeinde Bisingen

Isaac Arbeid, holländischer Jude, wurde 1941 als 18jähriger in Holland verhaftet und in ein holländisches Zwangsarbeiterlager eingewiesen. Danach musste er drei Jahre im KZ Blechhammer in Oberschlesien für die Oberschlesischen Hydrierwerke arbeiten. Nach der Evakuierung Blechhammers im Januar 1945 wurden die Häftlinge zu Fuß nach Groß-Rosen getrieben; nach wenigen Tagen kamen sie nach Buchenwald und von dort im März 1945 nach Bisingen. Isaac Arbeid starb 2002 in Amsterdam. Er besuchte Bisingen zur Eröffnung der Ausstellung im Heimatmuseum am 3. November 1996
In einem Interview berichtete er am 4. November 1996:
„Hier in Bisingen war es furchtbar, unvorstellbar. Erstens war die Behandlung sehr, sehr schlecht, das habe ich nicht so schlimm erfahren in anderen Lagern. Und wie ich mich erinnere, da war ein Wachtmeister, ein SS-Mann, das war ein Unterlagerführer in Blechhammer, der war menschlich damals. Aber hier war er auf der Baustelle, hier im ‚Kuhloch‘ war er auch evakuiert und lief dort mit einem Hund, einem Schäferhund und hat sich betragen wie – noch schlimmer wie ein Hund. Ein Hund kann nicht so sein. (…)
Der Zustand hier in Bisingen war schrecklich, man hat geschlagen und geschlagen. Essen war wenig, und wir mussten auch schwer arbeiten im ‚Kuhloch‘. Ich habe auch ein paar Tage hier im Dorf gearbeitet, nebenan in der Kirche, oben auf dem Dach.
Ich weiß auch, dass jemand geflüchtet ist, und – nicht weit von der Schweizer Grenze gefasst wurde, nachdem er denunziert wurde von Deutschen, und wurde zurückgebracht und hier gehängt. (…)
Es waren viele SS-Leute betrunken. Die sind ins Dorf hineingegangen, und wenn sie nach Hause kamen, ins Lager kamen, wenn sie besoffen waren, wie Besoffene haben sie sich betragen und geschlagen.“

Erschießungen
Henri Müller, ehemaliger Häftling im KZ Bisingen, sagte am 9. Februar 1961 über die Erschießung von drei ungarischen Häftlingen (Sinti und Roma) aus:
„Anfang November 1944 (es war am 9.12.1944, Anm. d. Verf.) hat ein Angriff der alliierten Luftwaffe auf Bisingen stattgefunden. Einige Bomben sind sehr nahe beim Lager gefallen. In Bisingen selbst sind die Schäden ziemlich beträchtlich gewesen. Damals wurden einige Leute vom Lager kommandiert, um das Dorf aufzuräumen. Es handelte sich hauptsächlich um Ungarn. Die Zivilbevölkerung von Bisingen hat anlässlich der Aufräumungsarbeiten einigen dieser Ungarn Lebensmittel zugesteckt, namentlich Früchte wie Äpfel. Einige Häftlinge haben sie an Ort und Stelle gegessen, während andere einige Äpfel in ihren Taschen ins Lager brachten. Unglücklicherweise sind sie durchsucht und die Äpfel von den Wachleuten gefunden worden. Am anderen Morgen, beim Appell, ist einer der Ungarn, die im Besitz von Äpfeln angetroffen worden waren, zum Eingangsposten gerufen worden, wo er verhört wurde. Er ist in Reih und Glied zurückgekommen; 2 Minuten später wurde er wieder zum Posten gerufen, wo ein (…) SS-Unteroffizier ihn auf der Stelle durch eine Revolverkugel in den Nacken hingerichtet hat. Von dem Punkte aus, wo ich stand, habe ich gesehen, wie sich die Dinge abgespielt haben. Am Ende des Morgenappells hat eine zweite Hinrichtung eines Ungarn stattgefunden, die ich nicht gesehen habe. Ich weiß jedoch, dass es Pauli war, der sie ausgeführt hat. Einige Minuten später hat eine dritte Hinrichtung stattgefunden, bei der ich nicht zugegen war, da ich in der Baracke war. Ich weiß, dass diese Hinrichtung dem SS-Unteroffizier Ehrmanntraut zuzuschreiben ist.“

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Aus: „Mögichkeiten des Erinnerns“ , Bisingen, 1997 von Christine Glauning

Bisingen – Zeitzeugenberichte – Ein ehemaliger Häftling

Hilfe von der Bevölkerung
Alfred Korn, polnischer Jude aus Krakau, kam 1942 ins Krakauer Ghetto und anschließend ins Arbeitslager Plaszow. Dort wurde er von seiner Frau und seinen beiden Kindern getrennt, die er nie wieder sah. Von 1943 bis Januar 1945 war er in Auschwitz. Über die KZ-Lager Groß-Rosen und Buchenwald wurde er im März 1945 nach Bisingen transportiert. In einem Radiointerview des SDR von 1976 berichtete Alfred Korn u. a. über Lebensmittel, die er von der Bevölkerung erhielt:
„Da war ich eines Tages, als ich oben war und unten waren die Mithäftlinge, die waren in der Grube, haben da nach dem Schiefer geguckt, da waren auf dem Nachbarfeld ein paar Bauern, Frauen haben da Kartoffeln gehabt. Jedenfalls hat mir eine Frau gezeigt, auf dem Boden mit dem Finger, da – hier liegt was. So habe ich das verstanden. Und das war eine Entfernung vielleicht von 5 bis 10 Metern höchstens. Ich habe aufgepasst, wenn der SS-Mann, der uns bewacht hat, der ist so rumgegangen, und er stand etwas weiter weg, habe ich mich hingeschlichen, habe das gefunden, und da waren drin fünf oder sechs Kartoffeln, in so’ner Tüte. Die habe ich genommen und habe sie mir in die Tasche gesteckt. Rechts und links.“

Die Sinnlosigkeit des Unternehmens „Wüste“
Alfred Korn: “ (…) und da hab ich auf einmal gesehen, während der Arbeit, dass vom Schieferwerk ein Rohr gelaufen war, das war aber sehr primitiv, auf Brettern ist das gelegen, und das ging vom Bahnhof, und auf dem Bahnhof stand eine Zisterne, und das Rohr ist in die Zisterne rein. Da habe ich beobachtet, da habe ich gedacht, oh, eine Zisterne, da müsste ja Öl fließen und da habe ich beobachtet, dass – ich will mich nicht festlegen – aber wahrscheinlich alle 5, kann auch 4 oder 6 Minuten gewesen sein, ist aus dem Rohr ein Tropfen in die Zisterne herein geflossen, wenn man das sagen darf. (…) Jedenfalls haben Hunderte von Häftlingen gearbeitet, damit alle Minuten ein Tropfen tickt und dann 5 Minuten nichts und dann wieder – tick. Der Tropfen ist rein in die Zisterne, und das war die große Leistung des Schieferwerks in Bisingen.“

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Aus: „Möglichkeiten des Erinnerns„, 1997, Bisingen, von Christine Glauning