Bisingen – Geschichtslehrpfad

„Schwierigkeiten des Erinnerns….“

Plan von Bisingen, um 1947: KZ (1), Entlausungsbaracke (2), Ölschieferabbaugelände (3), Fabrikanlagen (4), KZ-Friedhof (5), Massengrab (6), Archives du Ministere des Affaires Etrangeres, Colmar.

Die Ausstellung im Heimatmuseum wurde 1997/1998 um einen Geschichtslehrpfad ergänzt, den junge Erwachsene aus aller Welt im Rahmen eines Internationalen Workcamps angelegt haben.
Durch den Lehrpfad sollen die historischen Orte, die im Zusammenhang mit dem KZ Bisingen stehen, sichtbar und begehbar gemacht werden. Speziell auf die Orte zugeschnittene Monumente und Schautafeln sollen deren Geschichte kenntlich machen.

  • 1. Das ehemalige KZ-Lagergelände in der Schelmengasse.
  • 2. Das ehemalige Ölschieferabbaugelände im „Kuhloch“.
  • 3. Das ehemalige Massengrab im Ludenstall.
  • 4. Der KZ-Friedhof: Hier soll die Existenz der verschiedenen Opfergruppen sichtbar gemacht werden (Juden, die unter dem christlichen Kreuz begraben liegen, Russisch-Orthodoxe, Sinti und Roma).

Kleinere Hinweistafeln dokumentieren Orte wie den Bahnhof (Ankunft der Häftlinge), Überreste der Produktionsstätten im Wald usw.
So kann z. B. auf dem Geschichtslehrpfad der Weg nachgegangen werden, den die Häftlinge jeden Tag vom Lager ins Abbaugelände im „Kuhloch“ nehmen mussten. Zeitzeugen erinnern sich an diesen Weg als „Zebra-Wegle“ – so benannt nach der gestreiften Kleidung der Häftlinge. Im „Kuhloch“ kann man einen Teil der 1996/97 freigelegten technischen Anlagen des Ölschieferwerks mit dicken Betonmauern betrachten (Ölbunker und Gebläsestation). Ferner ist die mehrere Meter hohe Abbruchkante zu sehen, an der die Häftlinge den Ölschiefer abbauen mussten. Über die Mächtigkeit des Materials ist die schwere Arbeit erfahrbar, die die Häftlinge – oftmals mit ungenügenden Werkzeugen oder bloßen Händen -leisten mussten.

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Aus: „Möglichkeiten des Erinnerns“, Bisingen, 1997 von Christine Glauning

Bisingen – Ausstellung / Überlebende

„Schwierigkeiten des Erinnerns….“

Jahrzehntelang war über die Bisinger KZ-Häftlinge nur wenig bekannt – „namenlose Tote“, wie es auf einer Tafel am KZ-Friedhof geschrieben steht.
In der Erinnerung ist auch von „Juden oder Schwerverbrechern“, von „Kriminellen“ die Rede – die Propaganda von damals wirkt auch heute noch.
Die Männer, die 1944/45 nach Bisingen deportiert worden waren, sollen aus ihrer Anonymität befreit werden. In der Ausstellung sollen nach und nach alle Namen der 4150 Bisinger Häftlinge rekonstruiert sowie Biographien, Fotos, Dokumente und andere Erinnerungsstücke gesammelt werden, die zeigen, dass sich hinter den Überlebenden und den bisher unbekannten Toten Menschen und Schicksale verbergen.
Bild 11: Vier Überlebende des KZ Bisingen bei der Eröffnung der Ausstellung im Heimatmuseum Bisingen am 3. November 1996: Dave Fischel, Otto Gunsberger, Harry Nieschawer, Isaac Arbeid (von links nach rechts).

Die Suche nach Überlebenden war ein Schwerpunkt des Bisinger Ausstellungsprojektes. Über verschiedene Häftlingsorganisationen konnten weltweit 15 ehemalige Bisinger KZ-Häftlinge gefunden werden. Vier kamen im November 1996 zur Ausstellungseröffnung nach Bisingen, berichteten beinahe ununterbrochen über ihre Erinnerungen – in den Schulen, in Interviews, in Gesprächen und in einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung. Für ihren Mut und ihre Bereitschaft sind wir ihnen außerordentlich dankbar. Nach über 50 Jahren war es für sie keine leichte Reise: Harry Nieschawer, Otto Gunsberger, Dave Fischel, Isaac Arbeid. Und nicht zu vergessen ihre Frauen, die sie begleitet haben und die ebenfalls während des Zweiten Weltkrieges in unterschiedliche Konzentrationslager deportiert worden waren.

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4 Überlebende des KZ Bisingen bei der Eröffnung der Ausstellung im Heimatmuseum Bisingen am 03. November 1996: Dave Fischel, Otto Gunsberger, Harry Nieschawer, Isaac Arbeid sel. A. (von links nach rechts) Foto: Gemeinde Bisingen


Aus: „Möglichkeiten des Erinnerns“, Bisingen, 1997 von Christine Glauning

Zur Ausstellung im Heimatmuseum -Zeitzeugen

„Schwierigkeiten des Erinnerns….“

Stanislaw Sagan, in einem Brief am 4. September 1996 von Toronto/Kanada nach Bisingen:
„Es war in der Tat eine große Überraschung, als ich hörte, dass Ihre Gemeinde nach 52 Jahren beschloss, derjenigen zu gedenken, die in Ihrer Mitte gelitten haben und derjenigen, die von den Nazis getötet wurden. Zuerst widerstrebte es mir, irgend etwas mit einem solch verspäteten Ausbruch an Bewusstsein zu tun zu haben, aber dann dachte ich nach. Nach allem, jetzt Ihre eigenen Leute an die Grausamkeiten der Nazis zu erinnern, wenn vielleicht die meisten unter Ihnen diese ziemlich ‚unangenehme‘ Episode in ihrem Leben lieber vergessen würden, kostet einigen Mut von Ihrer Seite.“
So beschreibt ein ehemaliger Bisinger KZ-Häftling seine erste Reaktion auf das Ausstellungsprojekt im Heimatmuseum Bisingen – anfängliche Skepsis und Abwehr, die dann doch in die Bereitschaft umschlägt, sich den eigenen Erinnerungen zu stellen und diese mitzuteilen.
Die Ausstellung im Heimatmuseum stellt die historischen Hintergründe des Unternehmens „Wüste“ dar. Sie versucht mit Fotos, Gegenständen, Zitaten und Hörbeispielen nachvollziehbar zu machen, was es hieß, als im Sommer 1944 in Bisingen ein KZ errichtet wurde – für die deportierten Männer und für die Dorfbevölkerung.
Das Lager war nicht hermetisch abgeriegelt vom Dorf; es lag nur 150 Meter vom Ortsrand entfernt. Die Bevölkerung sah die Häftlinge auf ihrem Weg zur Arbeit ins Engstlatter Ölschieferwerk, beim Bau der Wasserleitung, beim Trümmerräumen. Sie
konnte auch beobachten, wie die SS manchen Häftling, der ein Stück Brot oder Obst vom Weg aufheben wollte, mit dem Gewehrkolben zusammenschlug. Ein Zeitzeuge berichtete in einem Interview über das schlimmste Ereignis, das er damals als 13jähriger Junge gesehen hatte: Zwei SS-Männer legten einem Häftling ein Kantholz über den Hals und standen so lange darauf, bis er qualvoll erstickte.

Eine Bisinger Zeitzeugin berichtete: „Bei uns kamen sie direkt am Haus vorbei, jeden Morgen. (…) Erbarmungswürdig, die haben sich so richtig fortgeschleppt. Besonders abends, da konnten sie kaum noch laufen. Und dann kamen die Wachmannschaften hinterher und haben geschimpft und haben auf sie eingedroschen mit dem Gewehrkolben.“

Eine andere Begegnung: „Ich war einmal draußen im Lager. Da hat mir der Ehrmanntraut gesagt, ob ich nicht etwas zum Nähen hätte. Sie hätten einen guten Schneider im Lager. Und dann habe ich gesagt: ja, ich hätte schon etwas. Und dann kam er mit dem Schneider, mit diesem KZ-Häftling (…). Der hat mir Maß genommen. (…) Und dann musste ich ja das Ding anprobieren. Und dann habe ich gesagt: Also, ich komme raus ins Lager. Und dann haben sie mir gesagt, wo ich rein muss, und dann durfte ich also rein. Das war natürlich eine Stube, wo die geschafft haben. Die war sauber und warm. Und dann habe ich das anprobiert. Das war ein Schwede. Der war ganz zitterig, wie er das gemacht hat. Und kurze Zeit darauf war er auch tot.“

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Aus: „Möglichkeiten des Erinnerns“, Bisingen, 1997 von Christine Glauning