Nachruf für Otto Gunsberger

von Dr. Ines Mayer

IMG_0277Wie soll man Abschied nehmen von einem lieben Freund, der in Melbourne, im fernen Australien beerdigt wird? Diese Frage stellten sich die Mitglieder des Vereins „Gedenkstätten KZ Bisingen“, als sie vom Sohn erfuhren, dass Otto Gunsberger am Ostermontag gestorben ist. Wie im Judentum üblich wurde er zeitnah, am Mittwoch im engsten Familienkreis beigesetzt. Eine persönliche Anwesenheit war den Freunden in Bisingen also aus mehreren Gründen IMG_0271nicht möglich. Um dennoch irgendwie gebührend Abschied nehmen zu können, trafen sich mehrere Vereinsmitglieder und Freunde  am Freitagabend im Heimatmuseum zu einer kleinen Gedenkfeier.


Von Anja Stromberg am 05(←Mail eines Vereinsmitglieds) In einer Fotoschau, unterlegt mit Felix Mendelssohn Bartholdys „Lieder ohne Worte“, ließ man noch einmal die zahlreichen Begegnungen mit Otto Gunsberger und seiner Frau Eve Revue passieren. 1996, als mit einem Festakt das Heimatmuseum eröffnet wurde, das damals noch unter dem Motto „Schwierigkeiten des Erinnerns“ stand, kam Otto Gunsberger mit gemischten Gefühlen nach Bisingen, hatte er hier doch im Frühjahr 1945 eine schlimme Zeit im Konzentrationslager durchlebt. In den vorangegangenen Monaten in den Lagern Auschwitz und Buchenwald auf 35 Kilogramm abgemagert, war der gerade 18-jährige aus Nagykanisza in Ungarn stammende junge Mann bei seiner Ankunft in Bisingen so entkräftet, dass er der harten Arbeit im Schieferabbau kaum noch gewachsen war. Im April ’45 wurde das KZ Bisingen evakuiert, Gunsberger nach Dachau-Allach deportiert und dort von der US-Armee befreit.

001-Die _Vier_ 1996Fünfzig Jahre später der offiziellen Einladung nach Bisingen zu folgen, bedeutete für Gunsberger wie für die anderen drei Überlebenden, die damals kamen, eine Reise ins Ungewisse. Würden schmerzhafte Erinnerungen hochgespült werden? Wie würde man ihnen in Bisingen begegnen? Und vor allem: Was waren das für Deutsche im Jahr 1996 und wie stellten sie sich zu den Verbrechen, die ihre Vorfahren während der NS-Zeit verübt oder geduldet hatten? Otto Gunsberger schrieb nach seiner Woche in Bisingen – nach Schulbesuchen, öffentlichen Auftritten und privaten Begegnungen – ein kleines Buch mit dem Titel „Difficulties of Remembering“ (Schwierigleiten des Erinnerns) und zog darin eine durchweg positive Bilanz: Es habe sich unbedingt gelohnt zu kommen, so Gunsberger. Die vielen netten Menschen und die wichtige Erinnerungsarbeit in Bisingen stimmten ihn optimistisch. Er hoffe, dass die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit die jungen Menschen resistenter gegenüber neonazistischem Gedankengut mache.

002c-Otto_1998 -2003-Besuch O. Gunsberger 2004(←2001 +2004) In den kommenden Jahren kehrte Gunsberger noch viermal nach Bisingen zurück – 1998 zur Einweihung des Geschichtslehrpfads, 2001, 2004 und 2009. Es war ihm ein wichtiges Anliegen, die Gedenkstättenarbeit in Bisingen zu unterstützen, vor allem indem er in die Schulen am Ort und in der Umgebung ging. Gunsbergers Schulbesuche waren besondere Erlebnisse. Unvergessen allen, die dabei waren, (←2004 Bisingen/Realchule) blieb der Augenblick, wenn er den 003a-IMAG~117Stationen003b-IMAG~10FÄrmel hochkrempelte und seine Häftlingsnummer von Auschwitz zeigte – er konnte sie immer noch in fließendem Deutsch hersagen. Ob er sich nie überlegt habe, die Tätowierung entfernen zu lassen, wollten die Schüler oft wissen. „Nein“, entgegnete Gunsberger, „die Nummer ist nicht meine Schande; sie ist die 004-IMAG~114 -2005 005-IMAGE391OttoSchande derer, die sie mir eingebrannt haben.“ – Einer dieser bestechend prägnanten Gunsberger-Sätze, die in Erinnerung bleiben, weil sie mit wenigen Worten die zutiefst humane Grundhaltung ausdrücken, die Otto Gunsberger eigen war und die alle beeindruckte, die ihn kannten.

006-IMG_7234 Techn. Gym. Balingen008-IMG_7244010-IMG_7253(←2009 TGBalingen) Im zweiten Teil der Gedenkfeier im Heimatmuseum konnten die Anwesenden diese besondere Ausstrahlung Gunsbergers noch einmal auf sich wirken lassen. Uta Hentsch, die Vorsitzende des Gedenkstättenvereins, hatte im Mai 2009 Gunsbergers Besuch am Technischen Gymnasium Balingen aufgezeichnet; ein Teil des Mitschnitts wurde nun noch einmal gezeigt. Die Fragerunde damals endete mit zwei wichtigen Anliegen Gunsbergers, die gleichsam das Schlusswort für die Abschiedsveranstaltung am Freitag bildeten. Da ist einmal seine Grundüberzeugung, dass man Menschen nicht nach ihrer Gruppenzugehörigkeit bewerten dürfe, sondern als Individuen – eine „Lehre“, die er selbst aus seiner Zeit in den Konzentrationslagern gezogen hat. Zum anderen der Appell, den er an die Schülerinnen und Schüler und eigentlich an uns alle richtete: „Erlaubt es niemandem in euerm Land, weder einer Gruppe, noch einer Partei oder einer Einzelperson, zu behaupten, Auschwitz habe es nicht gegeben. Nicht mehr und nicht weniger erwarte ich von euch.“

Nachfolgende Bilder Mai 2001 und Otto und Eve 2001 -4 Haigeröoch Otto und Eve 2001 -6 Haigerloch Otto und Eve 2001 -7 KZ-Friedhof Bisingen Otto und Eve 2001 -8 Eve& Pfarrerin Hirschbach Otto und Eve 2001 -9 Otto & Christine Glauning2009:

2001: 1.+2 Haigerloch / 3 KZ-Friedhof Bisingen / 4+5 Abschiedsabend im Evang. Gemeindehaus Bisingen , Eve Gunsberger und Pfarrerin Hirschbach, Otto Gunsbergerzund Christine Glauning

2009: 1.2.3 Realschule Bisingen / 4 Besuch der AG-Spurensuche auf dem Geschichtslehrpfad / 5.6.7 Empfang bei Bürgermeister Joachim Krüger / 8.9.10.11 Treffen mit Freunden im Heimatmuseum / 12.13 Abschiedsessen auf dem Brielhof – alle Fotos: Hentsch 

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065-IMG_7460067-IMG_7465072-IMG_7479HoZoZei 10. April 2013 

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SchwaBo 09

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