Zur Veranstaltung aus Anlass des „Internationalen Holocaust-Gedenktages am 27. Januar 2013
Jüdische Sonderkommando Häftling im Interview mit Gideon Greif
Zur Veranstaltung des Vereins „Gedenkstätten KZ Bisingen“ zum „Internationalen Holocaust-Gedenktag hatten sich vierzig interessierte Zuhörer eingefunden. Die optimal gestaltete „Wohnzimmer“-Atmosphäre im „Begegnungsraum“ des Bisinger Heimatmuseums trug sicher sehr entscheidend zu einem „schweren und gleichermaßen rundum gelungenen Abend“ bei – so der Tenor der Besucher nach der Veranstaltung.
Die Vorsitzende des Vereins, Uta Hentsch, entschuldigte in der allgemeinen Begrüßung der Besucher Herrn Bürgermeister Joachim Krüger, der einen Gruß ausrichten ließ. Aus Tübingen kommend wurde sehr herzlich Dr. Martin Rosemann, aktueller Bundestagsabgeordneter der SPD im Wahlkreises Tübingen mit Applaus begrüßt. Eine Besucherin war so gar aus Filderstadt angereist, sie hatte sich von vielen Veranstaltungen zu diesem Gedenktag den Abend in Bisingen ausgesucht! Dass die Anreise von vielen verschiedenen Orten möglich war konnte wohl dem angesagten, aber nicht stattgefundenen „Eisregen“ zugerechnet werden, konstatierte Hentsch.
←In einen Grußwort zur Veranstaltung in Bisingen, vorgelesen von der Schriftführerin des Vereins, Ingrid Wöhr, schrieb Dr. Greif:
„Sehr geehrte Damen und Herrn, liebe Freunde (…) Die Ereignisse, Erinnerungen und Narrativen die diese Holocaust-Überlebenden mir erzählten, haben die Geschichtsdarstellung und Historiographie von Auschwitz wesentlich und sogar drastisch geändert. Seit meiner Recherche musste die Geschichte von Auschwitz-Birkenau neu geschrieben werden. Ich bin Gott dankbar, dass ich so ein Glück hatte. Nicht jeder Historiker bekommt so ein Geschenk vom Himmel! Ich hatte Glück. Heute werdet Ihr einen Teil über dieses grausame Verbrechen hören. Schalom aus Israel wünscht Euch Gideon Greif – zum gesamten Grußwort hier: Grußwort nach Bisingen zum 27.01.2013
←Dieter Grupp (2. Vorsitzende des Vereins: Gideon Greif), Jannik Bitzer (Abraham Dragon) und Hendrik Dahlhoff (Shlomo Dragon) waren außerordentlich gut vorbereitet für die Lesung des Interviews aus „Wir weinten tränenlos….“ von Gideon Greif. Er schreibt darin in seiner Einleitung:
„Die Brüder ergänzten einander und arbeiteten als Team zusammen. Schon während des Krieges blieben sie beisammen, und auch ihre Zeit im Sonderkommando haben sie gemeinsam verbracht. Vielleicht führte diese Verbundenheit und der Umstand, dass beide das Leben von seiner leichten Seite nahmen, dazu, dass sie im Totenreich des Lagers zwei Jahre lang durchhalten konnten – das war selten in der Geschichte der Sonderkommandos. Die meisten ihrer Kameraden sind ermordet worden, damit sie später nicht als Zeugen der Verbrechen aussagen konnten.“ ISBN: 3-586 13914-7
Im Folgenden eine kleiner Auszug aus dem Interview:
Greif: An welcher Stelle in Birkenau standen diese Pferdestallbaracke und das Dorfhaus, die Sie hier beschreiben?
Abraham Dragon: „Den Ort nannte man Brzezinka. Das ist polnisch und heißt „Birkenwald“. Er lag etwa einen Kilometer von unserem Block in Birkenau entfernt.“
Shlomo Dragon: „Wir blieben neben der Baracke stehen. Moll (Anmerkung: Otto Moll war SS-Hauptscharführer in Auschwittz-Birkenau) teilte uns in Gruppen zu zehn und zwanzig Leuten ein und begann mit Erklärungen. Dann öffnete er die Baracke, und wir sahen etwas ganz
Seltsames: Der Fußboden der Baracke bestand aus Sand. Wir sahen Spuren von Leuten, die sich dort entkleidet haben mussten. Schuhe, Männerkleider, Kinderkleider, Frauenkleider. Das alles war in der Baracke, als ob man die Kleider gerade abgelegt hatte. Völlig neue Kleider, alles auf dem Sand, aber von den Menschen sahen wir nichts. Wir konnten uns nicht vorstellen, was das bedeutete. Ich sagte zu mir selbst, man müsse die Kleider wohl aufhängen, damit sie nicht verschmutzten.
(….)Moll fing dann an, uns unsere Arbeit zu erklären: »Eure Arbeit besteht darin, die Toten aus dem Haus zu holen. Da sind Leichen drin, und ihr müsst sie auf Loren herausholen und in die großen Gruben werfen, um sie zu verbrennen.« Er sagte uns, wir würden Essen bekommen, im Lager schlafen, aber wir mussten schwer arbeiten. Anderenfalls erhielten wir Schläge. Für diejenigen, die nicht arbeiten wollten, so sagte Moll, gäbe es Schläge und Hunde. Es waren dort wirklich SS-Leute mit Hunden, die uns immer begleitet hatten.
Als er die Tür der Baracke öffnete, fielen die Toten heraus. Wir rochen den Geruch von Gas. Wir sahen die Leichen, alle Altersgruppen, beiden Geschlechts, alles war voller nackter Menschen. Einer auf dem anderen, so dass sie sogar heraus fielen.“
Greif: Wo fielen die Leichen heraus?
Shlomo Dragon: „Aus dem Haus. Die toten Körper lagen dort so dicht gedrängt und einer auf dem anderen, dass beim Öffnen der Tür die Leichen einfach heraus fielen und neben der Tür zu liegen kamen. Wir sahen die Leichen herausfallen – Erwachsene und Kinder.“
Im Abschlusswort bedankte sich Hentsch bei den drei Akteuren des Abends für ihre professionelle Arbeit und bei den Besuchern für ihr Interesse. Ein besonderer Dank ging noch einmal an Dr. Rosemann für seinen Besuch im Heimatmuseum Bisingen. ER bedankte ich für den Abend und die Arbeit des Vereins gegen das Vergessen hier in Bisingen. Dank ging an Gideon Greif, der gerne die Genehmigung zu dieser Lesung gegeben hatte. Ein Dank auch an Colin McPherson, Liverpool, der dem Verein kostenlos zwei Bilder der Drago-Brüder für diesen Abend, für die Presse und die Internetseite des Vereins zur Verfügung gestellt hat.
Die „Spendenbox“ vor zwei Jahren von Schülern der AG-Spurensuche für uns angefertigt, durfte nicht im verborgen bleiben – wir danken allen Spendern sehr herzlich :-)!
Nächste Termine: Samstag, 23. Februar 2013 – Exkursion nach Stuttgart ins Landemuseum zur Ausstellung „Anständig gehandelt“ – Volksgemeinschaft und Widerstand im Südwesten
Freitag 08. März 2013: Veranstaltung im Heimatmuseum zum Thema „Sinti & Roma – Verfolgung und Ermordung unter dem Nazi-Regime“ mit einem Referenten vom „Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti & Roma“ in Heidelberg
Die komplette Veranstaltung auf MP3 zum herunterladen: 27.Januar 2013 Heimatmuseum Bisingen -„Jüdische Sonderkommando Häftlinge im Interview mit Gideon Greif“
Presse: Schwarzwälder Bote vom 29. Januar 2013:
PS: auch an Herrn Karl Schwager, der uns noch einige Bilder für unseren Bericht zur Verfügung gestellt hat. Sie sind mit seinem Namen markiert. Andere Fotos: Hentsch